Ein Gespräch mit Chefarzt Dr. Guido Straten
So früh wie möglich, so viel wie möglich
In der neurologischen Frührehabilitation werden schwer beeinträchtigte Patientinnen und Patienten zum individuell frühestmöglichen Zeitpunkt rehabilitativ behandelt.
Was ist neurologische Frührehabilitation?
Wir arbeiten an der Schnittstelle von Intensivmedizin und Rehabilitation: In der neurologischen Frürehabilitation, die auch als Rehabilitationsphase B bezeichnet wird, werden Patientinnen und Patienten mit schweren Verletzungen des Gehirns behandelt, aber auch Menschen, die unter Erkrankungen der Muskulatur oder der Nerven leiden. Die meist gravierenden Lähmungserscheinungen und die eingeschränkten kommunikativen Möglichkeiten der Patienten machen eine besondere Versorgung nötig.
In welchem Zustand kommen die Patientinnen und Patienten zu Ihnen auf die Station?
Häufig sind die Betroffenen gelähmt, leiden unter schweren Schluck- und Sprachproblemen, haben Bewusstseinsstörungen oder einen künstlichen Atemwegszugang (Trachealkanüle). In manchen Fällen befinden sie sich sogar im Wachkoma. Ihnen allen bieten wir neben einer intensiven medizinischen Therapie eine sehr zeitaufwendige therapeutische Betreuung, die durch unsere neurologisch-fachspezifische Pflege unterstützt wird.
Wann beginnt neurologische Frührehabilitation?
Wir wissen heute, wie immens wichtig die Frührehabilitation nach einer Schädigung des Gehirns für den weiteren Verlauf ist. Eine frühzeitige Stimulation der Muskulatur, aber auch der Sinne, der Bewegung und des Schluckens kann körpereigene Kräfte aktivieren und dazu beitragen, dass manches von dem, was verloren gegangen ist, wiederkommt. Darum beginnen wir mit der Rehabilitation meist, sobald die Patienten nicht mehr beatmungspflichtig und stabil sind. Gelegentlich bekommen bei uns auch noch beatmete Patienten Therapie. Genauso wichtig wie die Entwöhnung von der Beatmung ist, dass die Betroffenen belastbar sind. Sie dürfen keine schweren Infekte haben und ihre Herz- und Lungenfunktion muss ein Training zulassen. Wir nehmen diejenigen auf, bei denen wir glauben, dass sie genügend Ressourcen mitbringen, um von den Therapiemaßnahmen zu profitieren.
Wie sehen die Maßnahmen aus?
Im Haus Pfalz haben wir Schlaganfallstation, Akutneurologie und Frührehabilitation unter einem Dach. Wer bei uns etwa mit einem Schlaganfall in die Stroke-Unit kommt, kann hier anschließend nahtlos weiterversorgt werden. Manche sind so betroffen, dass wir erstmal versuchen die Kontaktfähigkeit und Bewusstheit wiederherzustellen. Um das zu erreichen, schöpfen wir alle therapeutischen Möglichkeiten aus, wie Pyhsiotherapie, Logopädie und Ergotherapie. Diese kurzen Wege, die reibungslose Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Abteilungen verbessern die Erfolgsaussichten der Behandlung. Häufig müssen unsere Patienten ganz von vorne beginnen. Manche sind so betroffen, dass wir erstmal versuchen die kontaktfähigkeit und Bewusstheit wiederherzustellen. Um das zu erreichen, schöpfen wir alle therapeutischen Möglichkeiten aus, wie Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie.
Wie sind die Erfolgsaussichten für Patient:innen?
Wir können niemandem „versprechen“, dass die Frührehabilitation Wirkung zeigt. Mal salopp formuliert: Der Mensch ist kein Auto, bei dem man das Getriebe ausbaut und wieder neu einsetzt. Es kann sein, dass die Schäden am Gehirn und an den Nerven so schwerwiegend sind, dass es zu keiner Verbesserung kommt, trotz aller Therapien und Stimulation. Das müssen wir Betroffenen und ihren Angehörigen leider manchmal auch in aller Offenheit sagen. Auch für uns ist es nicht einfach, das hinzunnehmen.
Wie motivieren Sie Patient:innen zur aktiven Teilnahme an den Therapiemaßnahmen?
Es kommt zunächst darauf an, wo, wie schwer und wie groß die Schädigung im Gehirn ist. Sind die Patienten aufnahmefähig, kann man sie ermutigen, aktiver mitzumachen, indem man ihnen etwa erläutert, dass sie selbst Verantwortung tragen bzw. übernehmen können. Dafür muss eine gewisse Verständnisfähigkeit vorhanden sein und auch ein Gedächtnis – das wiederum durch Hirnschäden beeinträchtigt sein kann. Da helfen Worte manchmal sehr wenig. In einigen Fällen können wir mit Medikamenten den Antrieb etwas steigern. Manchmal steckt hinter dem Antriebsmangel ein Delir, also ein akuter Verwirrtheitszustand, den wir mit Medikamenten beeinflussen und so eine bessere Mitarbeit erzielen können. Auch eine depressive Reaktion auf die Erkrankung kann ursächlich sein. Da können wir mit gezielten, therapeutischen Gesprächen durch unsere Neuropsychologen etwas erreichen. Manchen Patient:innen erklären wir, welche Erfolge sie schon gemacht haben, um ihnen klarzumachen, wie wesentlich ihre Mitarbeit ist. Und ab und zu helfen auch ganz offene Worte: Etwa indem wir Patienten deutlich machen, dass sie vielleicht nicht mehr nach Hause können, sondern in ein Pflegeheim müssen – falls wesentliche Fortschritte ausbleiben.
Gibt es ein bestimmtes Zeitfenster, innerhalb dessen sich Besserungen einstellen?
„Das lässt sich pauschal nicht eingrenzen. Es hängt immer entscheidend vom Einzelfall ab und auch davon, wie aktiv und im weitesten Sinne gesund ein Mensch vor seiner Erkrankung war. Aber grob können wir sagen: Wenn sich in einem Zeitraum von vier bis sechs Wochen nach einer Schädigung wenig Verbesserungstendenzen gezeigt haben, wird sich das leider auch in den nächsten Monaten vermutlich nicht signifikant ändern. Es kommt aber immer auch auf das Schädigungsmuster und die Dynamik im Rehabilitationsverlauf an. Eine große Rolle spielt dabei, wie motiviert die Betroffenen selbst sind. Ohne ihre Mitarbeit erreichen wir nicht viel. Eine Gehirnschädigung bewirkt häufig leider auch, dass Patienten von ihrer Motivation her doch sehr eingeschränkt sind.
Wie binden Sie die Angehörigen ein?
Wir sind von Anfang an sehr offen. Nicht weil wir Hoffnungen zerschlagen, sondern weil wir unrealistische Erwartungen bremsen wollen. Aus Erfahrung wissen wir, dass es ein Schock ist, wenn sich durch die Therapien nicht viel am Zustand eines Menschen ändert. Hier klären wir sehr früh auf, dass der Medizin bei solchen Erkrankungen Grenzen gesetzt sind. Wir vermitteln eine realistische Prognose, achten aber darauf, die Motivation zu erhalten. Angehörige sind oft enttäuscht, wenn gewünschte Verbesserungen ausbleiben. Oft müssen wir ab einem Punkt sehr klar sagen, dass es unserer Einschätzung nach Patienten nicht in eine weiterführende Rehabilitation schaffen werden, und dass die Angehörigen überlegen müssen, wie es dann weitergehen kann. Das ist bereits Thema im ersten, strukturierten Aufnahmegespräch.
Welche Rolle spielt für Sie die Kooperation mit anderen Fachabteilungen?
Wir haben etwas, das es so nur in wenigen Kliniken gibt: alle notwendigen Fachdisziplinen an einem Ort, so decken wir alle medizinischen und therapeutischen Bereiche ab – nicht nur wenn es Komplikationen gibt. Unsere Patienten sind sehr gut aufgehoben und umfassend versorgt – es gibt nur weniges, was wir nicht abdecken und wofür wir Patienten in andere Kliniken verlegen müssen. Das ist ein ganz entscheidender Vorteil. Denn die Meisten sind so krank, dass eine Verlegung mit hohem Risiko und großem Aufwand verbunden ist. Die hervorragende Zusammenarbeit
von Pflege, Therapeut:innen und Ärzten ist dabei ein wichtiger Faktor. Wir haben die medizinische Qualität und alle speziellen Kompetenzen für eine sehr gute neurologische Frührehabilitation - und wir können sie zuverlässig leisten. Was aber wichtig ist: Eine Erfolgsgarantie können wir nie geben. Dennoch gehen wir bei der Rehabilitation bis an die Grenzen der Rehabilisierbarkeit.
Welche Komplikationen kommen häufig vor?
Schluckbeschwerden treten sehr häufig bei Schlaganfall und bei Blutungen im Gehirn auf und auch bei Entzündungen der Nerven wie dem Guillain-Barré-Syndrom. Bei fast allen Patienten sind ausgeprägte Lähmungen vorhanden, wodurch eine eigenständige Fortbewegung unmöglich ist. Diese Lähmungen schränken Betroffene in ihrer Selbstversorgung und Mobilität natürlich sehr ein. Viele haben nicht die Kraft, Arme und Beine zu bewegen. Betroffene können nicht einmal in der Lage sein, Hilfe zu holen, etwa die Notfallklingel zu nutzen. Da setzen wir spezielle Techniken ein, wie etwa die Aktivierung der Klingel über einen Atemstoß oder über sehr große Knöpfe auf einem Display.
Wie lange bleiben Patient:innen in der neurologischen Frührehabilitation und wie geht es dann weiter?
Solange Patienten Fortschritte machen, bleiben sie bei uns. Manch einer braucht nur drei oder vier Wochen, bei den meisten dauert es zwei bis drei Monate. In unseren wöchentlichen Teamsitzungen besprechen wir die Fortschritte und die Situation einzelner Patienten ausführlich, passen gegebenenfalls die Therapiemaßnahmen an und geben eine Einschätzung bezüglich der zu erwartenden Entwicklung ab. Etwa 40 Prozent unserer Patienten schaffen es in die nächste Stufe, also in die Rehabilitation Phase C. Um diese zu erreichen, müssen sie einiges wieder können, z. B. müssen sie absprachefähig und orientiert sein, sie sollten Bereitschaft zur Mitarbeit zeigen, mehrere Meter selbstständig im Rollstuhl fahren können und sie sollten stuhlkontinent sowie belastungsfähig sein. Dann kann es in der nächsten Rehabilitationsphase nahtlos weitergehen.