Verschleiß, Veranlagung, Vorbeugung
Ein Überblick
Bei einem „Vorfall“ denken wir direkt an ein plötzliches, womöglich schmerzhaftes Ereignis. Doch der Bandscheibenvorfall (auch: Bandscheibenprolaps oder Discusprolaps) tritt nicht immer auf diese Weise auf, manchmal bleibt er sogar lange unbemerkt. Tatsächlich rührt sein Name daher, dass Bandscheiben „vor fallen“. Das bedeutet, dass die Flüssigkeit aus dem gallertartigen Kern ihren äußeren, schützenden Ring durchbricht. Der verrutschte Gallertkern kann nun gegen Nerven und Rückenmark drücken – und so Schmerzen und sogar Lähmungen verursachen.
Meist geht ein Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule (LWS) zunächst mit Symptomen wie Schmerzen im Rücken einher, welche sich später auch in Beine und Füße ausbreiten. Beim Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule (HWS) treten Schmerzen eher im Bereich der Schultern, Arme sowie Hände auf.
Drückt die Bandscheibe gegen das Rückenmark, können Schmerzen in Armen und Beinen sehr intensiv sein und mit Taubheitsgefühl und Kribbeln einhergehen.
Kreuzschmerzen an der Lendenwirbelsäule
Insgesamt verfügt die Wirbelsäule über 23 Bandscheiben, die wie Stoßdämpfer zwischen den einzelnen Wirbeln sitzen. Ein Bandscheibenvorfall tritt in 90 Prozent der Fälle im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) auf, zwischen Brust und Kreuzbein. Die Symptome, die dabei entstehen, nehmen Betroffene deswegen in der Regel als Kreuzschmerzen wahr, die später in Beine und Füße ausstrahlen können. Circa jeder zehnte Bandscheibenprolaps betrifft die Halswirbelsäule (HWS). Wesentlich seltener sind Fälle an der Brustwirbelsäule (BWS). Welche Bandscheibe betroffen ist, ermitteln Ärzte mit einer neurologischen Untersuchung und bildgebenden Verfahren.
Bewegung, Physio- oder Schmerztherapie - wenn notwendig eine OP
In der Regel klingen die Beschwerden nach sechs bis acht Wochen konservativer Therapie wieder ab. Dabei versuchen Betroffene, ihre Rückenmuskulatur mit Bewegung und Krankengymnastik zu entlasten und zu stärken. Damit das gelingt, müssen Ärzte zunächst meist die Schmerzen meist mit Medikamenten lindern, weil Patienten sich sonst nur eingeschränkt bewegen können. In bestimmten schweren Fällen ist eine Operation nötig. Chirurgen entnehmen dabei meist den vorgefallenen Teil der Bandscheibe.
Symptome eines Bandscheibenvorfalls
Wie sich ein Bandscheibenvorfall äußert, hängt davon ab, wie ausgeprägt er ist. Verrutscht der Gallertkern einer Bandscheibe nur geringfügig, spüren Betroffene unter Umständen überhaupt keine Schmerzen oder Einschränkungen. Eine sehr kräftige Rückenmuskulatur kann ebenso dazu beitragen, dass keine oder nur schwache Symptome auftreten.
Schmerzen und Taubheit im Kreuz
Doch häufig drückt die ausgetretene Flüssigkeit auf Nerven, die vom Rückenmark in der Wirbelsäule aus abgehen. Ein Vorfall an der Lendenwirbelsäule verursacht dann stechende Schmerzen am untern Rücken, die häufig in Beine und Füße ausstrahlen. Vor allem in den Beinen kann es zu Taubheit und Kribbeln kommen.
Die Beschwerden treten oft plötzlich auf, nachdem Betroffene ihre Wirbelsäule stark belastet haben, zum Beispiel durch schweres Heben. Nach dem Bandscheibenvorfall verstärkt zunächst jede Bewegung des Rückens die Symptome. Auch Husten und Niesen lassen die Schmerzen kurzzeitig schlimmer werden.
Ein Vorfall verursacht Hexenschuss-Symptome
Ein Bandscheibenvorfall löst somit die Symptome eines „Hexenschusses“ aus. Ein Hexenschuss bedeutet aber lediglich akute, heftige Schmerz im Kreuz – und hat meistens andere Ursachen, zum Beispiel Zerrungen und Blockaden an den Wirbeln. Ärzte können abklären, ob plötzliche Kreuzschmerzen auf einen Bandscheibenvorfall zurückgehen oder nicht.
Notfall: "Cauda-Syndrom"
In sehr seltenen Fällen drückt der Bandscheibenvorfall direkt auf das Rückenmark und / oder die Nervenwurzeln. Dann treten Taubheit, Kribbeln und ein Schwächegefühl in Armen und Beinen auf. Zudem sind häufig die Schließmuskeln von Blase und Darm gestört, was für Probleme bei Wasserlassen und Stuhlgang sowie für ein taubes Gefühl im Genitalbereich sorgt. Bei diesem sogenannten Cauda-Syndrom handelt es sich um einen Notfall – Betroffene sollten sich sofort in ärztliche Behandlung begeben.
Ursachen und Prävention
Eine Bandscheibe besteht aus einem flüssigen Gallertkern und einem Faserring, der den Kern schützt. Beide „Bauteile“ nutzen sich mit der Zeit und dementsprechend mit dem Älterwerden ab. Der Gallertkern bindet dann immer weniger Wasser. Dadurch ist er nicht mehr so elastisch wie zuvor und kommt seiner Aufgabe als Puffer zwischen den Wirbeln nicht mehr ausreichend nach. In der Folge wird der schützende Faserring brüchig und locker. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Kern nach außen „vor fällt“ und dort auf Nerven oder das Rückenmark drückt.
Verschleiß durch Sitzen, Schleppen, Übergewicht
Dementsprechend häufiger ist ein Bandscheibenvorfall auch im höheren Alter. Doch nicht nur das Alter trägt zu diesem Prozess des Verschleißes bei. Vor allem spielt die Veranlagung des Menschen eine wichtige Rolle. Hinzu kommt eine große "Unbekannte", die ein Großteil der Verschleißerscheinungen verursacht aber bis heute ungeklärt bleibt. Gefördert wird der Verschleiß zusätzlich durch alles, was den Rücken belastet: Übergewicht zum Beispiel, Fehlbelastung durch langes Sitzen und viel schweres Heben. Die größte Last liegt dabei in der Regel auf der Lendenwirbelsäule, an der auch 90 Prozent der Bandscheibenvorfälle auftreten. Diesen Teil der Wirbelsäule beanspruchen wir besonders beim Sitzen und wenn wir zum Beispiel einen Umzugskarton anheben.
Risikofaktoren minimieren
Vielen der Risikofaktoren, die einen Bandscheibenvorfall begünstigen, können Menschen bewusst entgegensteuern. Fehlbelastungen etwa lassen sich vermeiden, indem wir in die Knie gehen, um etwas aufzuheben, anstatt uns zu bücken. Ausreichend Bewegung, besser noch gezieltes Training, stärkt die Bauch- und Rückenmuskulatur und baut Übergewicht ab. Entspannungstechniken wie Yoga und Pilates können die Wirbelsäule zusätzlich entlasten und die gesamte Rumpfmuskulatur unterstützen. Wer viel sitzt, etwa im Büro, sollte regelmäßig aufstehen und sich die Beine vertreten.
Genaue Diagnose erforderlich
Für eine richtige Diagnose sollten Patientinnen und Patienten zunächst ihrem Arzt bzw. ihrer Ärztin ausführlich schildern, wie es zu ihren Rückenschmerzen kam, wie sich diese anfühlen und wo genau sie sitzen. Dann folgt eine neurologische Untersuchung. Ärzt:innen überprüfen dabei unter anderem die Reflexe der Patient:innen und an welchen Stellen Schmerzen und Taubheit an Rücken und Beinen auftreten. Das gibt ihnen einen Hinweis darauf, in welchem Bereich Nerven beeinträchtigt und welche Bandscheiben betroffen sind. Die Klärung der Ursachen von Rückenschmerzen sollte aufgrund der Komplexität immer ein Spezialist übernehmen. Im Idealfall wird ein Patient interdisziplinär betreut.
Bildgebende Verfahren beleuchten Wirbel und Rückenmark
Genaueren Aufschluss verschaffen bildgebende Verfahren. Röntgenaufnahmen zeigen den Ärzt:innen, wie beweglich die Wirbelsäule ist und wo sich ihre einzelnen Wirbel befinden. Liegen zwei Wirbel zu dicht aneinander, ist das ein Indiz dafür, dass hier der Stoßdämpfer zwischen ihnen, also die Bandscheibe, beeinträchtigt ist. Häufig kommen jedoch direkt die sogenannten Schnittbildverfahren zum Einsatz: Mit Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) können Ärztinnen und Ärzte Veränderungen bis in Nervenwurzeln und Rückenmark hinein erkennen. Dadurch erfahren sie, welche Bandscheibe wie stark und in welche Richtung verrutscht ist.
Vorsicht vor "Überdiagnose" bei Rückenschmerzen
Häufig machen sich Ärzt:innen nach Krankengeschichte und neurologischer Untersuchung schon ein gutes Bild davon, wo Rückenschmerzen herkommen. Rühren sie nicht von Nerven und Rückenmark her, ist in der Regel eine Therapie mit Krankengymnastik und gegebenenfalls Schmerzmitteln sinnvoll. Bilder aus CT und MRT könnten Patientinnen und Patienten dann unnötig beunruhigen – und die Schmerzen so über deren Psyche chronisch werden lassen. Wenn sich die Beschwerden nicht bessern oder Lähmungen auftreten, sollten Ärzte aber mit bildgebenden Verfahren weiter nachforschen.
Behandlungsoptionen kennen
Ärzte behandeln mehr als 90 Prozent der Bandscheibenvorfälle mit einer konservativen Therapie, die Behandlung erfolgt also ohne Operation. Zunächst verordnen Ärzte in der Regel Schmerzmittel, damit Betroffene sich wieder ohne Beschwerden bewegen können. Auch eine Wärmebehandlung hilft: Rotlicht, Heizkissen und Fango-Packungen fördern die Durchblutung und lösen schmerzhafte Verspannungen der Muskeln. Eine weitere konservative Therapieoption ist die Schmerztherapie.
Gymnastik und Sport stäken die Rückenmuskulatur
So bald wie möglich kräftigen Betroffene dann ihre Bauch- und Rückenmuskulatur. Das entlastet die Wirbelsäule, weniger Druck lastet auf den Bandscheiben. In der Physiotherapie lernen Patienten entsprechende Übungen. Wenn sie diese über sechs bis acht Wochen regelmäßig durchführen, gehen die Beschwerden in der Regel deutlich zurück oder verschwinden vollständig.
Hilfreich ist auch Sport, solange er die Bandscheiben nicht belastet. Betroffene sollten sich dazu mit ihrem Arzt besprechen. Geeignet sind in der Regel Spaziergänge, Gerätetraining, Laufen und Schwimmen. Wichtig ist, dass das Training nicht aufhört, wenn die Beschwerden abklingen. Wer einmal einen Bandscheibenvorfall erlebt, für den steigt die Wahrscheinlichkeit weiterer Vorfälle. Ein starker Rücken kann das verhindern.
Operation bei schwerem Bandscheibenvorfall
Eine Operation beseitigt die Beschwerden häufig langfristig, doch sie geht mit Risiken und möglichen Nebenwirkungen einher. Ärzte empfehlen sie beispielsweise, wenn trotz konservativer Therapie starke Beschwerden fortbestehen oder Nervenschäden zu Problemen bei Wasserlassen und Stuhlgang führen (Cauda-Syndrom).
Die moderne Technik hat minimalinvasive Eingriffe an der Wirbelsäule zur Standardbehandlung gemacht. Die Erfahrungen zeigen, dass viele Patienten mit anhaltenden Rückenschmerzen nach einer operativen Therapie wieder komplett schmerzfrei sind. Jede Operation bedeutet aber auch eine zusätzliche Belastung für den Patienten, die es zu vermeiden gilt.
Viele Patienten haben Angst vor Bewegungseinschränkungen oder Belastungsgrenzen nach kleineren Versteifungsoperationen. Diese Angst ist jedoch unbegründet. Eine Versteifung von zwei Wirbelkörpern führt nicht zu einer spürbaren Bewegungseinschränkung. Im Gegenteil – der Patient bewegt sich oft besser, weil er nach der OP schmerzreduziert oder gar schmerzfrei ist.
Bei einem operativen Eingriff entfernen die Ärzte den ausgetretenen Gallertkern (Nucleus pulposus), der auf Nerven oder Rückenmark drückt (Exzision von erkranktem Bandscheibengewebe; OPS-Code: 5-831). Gängig ist dazu eine mikrochirurgische Diskektomie: Chirurgen setzen einen kleinen Hautschnitt am Rücken. Anschließend lösen und entnehmen sie das Gewebe mit speziellen Instrumenten. Wenn die Bandscheibe verschlissen ist, muss sie gegebenenfalls auch vollständig entfernt werden. Im Anschluss werden die anliegenden Wirbelkörper miteinander verbunden.